Deutsch: Aufsatzformen und Musterlösungen



Beispiel zum Aufgabentyp: Gestaltendes Interpretieren

Thomas Hürlimann: Der Filialleiter, in: Deutschbuch 10, S. 107 (Falls Bedarf besteht, wende dich wegen des Textes an deine/n Deutschlehrer/in.)

Aufgabe: Schreibe einen inneren Monolog Maria-Lisas. Er soll zwischen Z.56 und 57 eingefügt werden. Erläutere ihn!

Innerer Monolog:

Hab ich mir das so vorgestellt, als ich zu dieser Sendung ging? Was für eine Erleichterung, mal sagen zu können , wie ich mich wirklich fühle. Verständnis zu finden bei Leuten, denen es auch so geht wir mir. Allen, die  zur Sendung „Mein Partner bedeutet mir nichts" eingeladen waren, geht es ähnlich wir mir. Mal deutlich auszusprechen, was ich wirklich für ihn fühle, für meinen Willy -  nichts, Ekel, Gleichgültigkeit - welche Erleichterung, das mal aussprechen zu können! Ekel - na ja, vielleicht war's etwas übertrieben, als ich das gesagt habe.  Irgendwie hab ich ja gedacht, dass er die Sendung anschaut, ja, und ein bisschen gehofft, dass er geschockt ist. Ist er ja auch, hab ich ja gemerkt, sein Ausruf, sein Zittern, sein Schnaufen - und wie er sich in meinen Arm gekrallt hat! Aber dann - wieder nichts! Typisch! Noch nicht mal richtig aufregen kann er sich! Ich sag ihm, was ich von ihm halte, sogar in aller Öffentlichkeit - und er - außer „Maria- Lisa" - nichts! Denkt er, ich soll jetzt was sagen?

Ich hab doch wohl genug gesagt. Jetzt wäre er doch wohl an der Reihe! - Warum bleib ich eigentlich bei ihm? Ja, warum?  Aus Liebe bestimmt nicht, noch nicht mal aus Freundschaft ...

Ach egal, ich weiß auch nicht ... War halt ein Versuch ... Dass sich was ändert, richtig daran geglaubt hab ich ja sowieso nicht.

Erläuterung

Die Frau muss ein Motiv gehabt haben, als sie an der Fernsehsendung teilnahm. Dieses Motiv habe ich psychologisch erklärt. Da sie sich in mit ihrem Mann nicht ausspricht bzw. nicht aussprechen kann, könnte sie es als Erleichterung empfinden, eine andere Gelegenheit zu finden, in der sie frei sprechen kann. Da sie und ihr Mann jeden Abend das Erste Programm im Fernsehen schauen (Z.14, Z.66), ist es nicht unwahrscheinlich, dass ihr Mann die Sendung sehen wird. So kann sie ihrem Mann mithilfe des Fernsehens sagen, was sie von ihm hält. Sehr merkwürdig in der Geschichte ist es, dass die Frau während und nach dem Fernsehbeitrag gar nichts sagt, sondern nur heißes Wasser nachgießt (Z.41-45) und ihm wortlos das Handtuch reicht (Z.67). Wenn sie ihren Auftritt in der Sendung als Gedankenanstoß für ihren Mann ansehen würde, von dem sie sich die Gelegenheit erwartet, mit ihm über ihre Beziehung zu diskutieren, damit sich etwas ändert, könnte man erwarten, dass sie die Gelegenheit nutzt und eine Diskussion mit ihm beginnt. Wenn sie das nicht tut, kann sie eigentlich auch nicht viel Willenskraft für eine Veränderung haben, vielleicht ist sie konfliktscheu, vielleicht ist ihr ein Neuanfang allein zu mühsam, vielleicht denkt sie, sie sei zu alt dazu, vielleicht fürchtet sie, ihren Arbeitsplatz im Supermarkt zu verlieren.  Die Ursachen für ihre fehlende Kraft zu einer wirklichen Auseinandersetzung mit ihrem Mann, die für mich in ihrem Schweigen und in ihrem Verhalten zum Ausdruck kommen (sie schweigt, sie gießt Wasser nach, sie reicht ihrem Mann das Handtuch, sie sitzt neben ihrem Mann, guckt Fernsehen und knabbert Salzstangen, Z.67-69), nennt der Text nicht. Also habe ich sie am Ende meines Textes auch nicht selbstkritisch nachdenken lassen, sondern sie nur feststellen lassen, dass sie ja sowieso nicht daran geglaubt habe, dass sich etwas ändere. Damit habe ich gleichzeitig deutlich gemacht, dass ich die Verantwortung für die emotionale Kälte in der Beziehung nicht nur bei dem Filialleiter, sondern auch bei der Frau sehe, die sich eigentlich nicht anders verhält als ihr Mann, aber wohl stärker unter dieser Kälte leidet.

Sprachlich habe ich versucht, umgangssprachlich und alltagssprachlich zu formulieren und die Sprachebene einer Verkäuferin in einem Supermarkt zu treffen. Gleichzeitig wollte ich aber auch zeigen, dass Maria-Lisa wahrscheinlich innerlich nicht ganz so gleichgültig ist, wie sie nach außen wirkt. Daher habe ich Fragen, Ellipsen, Parenthesen, Anakoluthe, Ausrufe, Inversionen verwandt, sodass ihr inneres Sprechen erregt klingt.

 

 

 

Beispiel für eine Interpretation:


Aufgabe: Faber-Sabeth

Analysiere Fabers Verhältnis zu Sabeth.

Entspricht Sabeth Fabers Bild von den Frauen?


Interpretation eines Auszuges aus Homo Faber

 

In der Regenpassage auf S. 68 im Buch Homo Faber von Max Frisch beschreibt Faber  rückblickend die Rückfahrt aus dem Dschungel Guatemalas.

Dort hatte er mit dem Franzosen Marcel und dem dt. Herbert nach seinem alten Studienfreund Joachim, Herberts Bruder gesucht und ihn erhängt in einer Baracke gefunden. Marcel und Faber fahren zu zweit zurück, da Herbert im Dschungel blieb.

Er beschreibt die Szene, nachdem er bereits wieder in New York war und auf dem Weg nach Paris ist. Die Szene ist weitgehend isoliert vom erzählerischen Umfeld, da sie beispielhaft für Fabers unterdrückte Angst vor dem Unbekannten steht.

Prägend für die Darstellung sind Motive, die üblicherweise als Symbol für Reinigung von alten Lasten und Neuanfang benutzt werden. Hierzu zählt beispielsweise der Regenschauer, der sich über einen großen Teil der Szene erstreckt. Eigentlich erwartet der Leser, dass der Regen eine befreiende Wirkung auf Faber hat (und dass dieser langsam nachlässt und Fabers Bedrückung verschwindet.) Doch für ihn ist der Regen gerade das, was ihm noch stärker vor Augen führt, wie unberechenbar die Natur ist, indem er jede übliche Form aufhebt. Die Trennung zwischen Boden & Himmel löst sich auf (Zeile 5) und Wurzeln hängen in der Luft (8) (wobei wahrscheinlich Lianen gemeint sind). Er fühlt sich ausgeliefert was er deutlich macht, indem er den Regen als sintflutartig bezeichnet. Man merkt deutlich, dass er Angst vor dieser Situation hat, obwohl er sie immer wieder für sinnlos erklärt. So lassen sie die Scheinwerfer des Wagens an, obwohl es keinen Sinn hat oder ziehen ihre nasse Kleidung aus, weil er sich vor der Nässe ekelt, obwohl auch das völlig unbegründet ist. Diese Gegensätze macht er durch das Wort „obschon" deutlich, wodurch sie noch mehr auffallen. Die Tatsache, dass er erst viel später über diese Nacht berichtet, zeigt, dass Faber seine Angst unterdrücken will. Er berichtet nicht darüber, da es rationell gesehen eine normale Nacht war. Viel später berichtet er dann doch darüber, da ihn diese Szene nicht loslässt. Das typische Klischee einer solchen Situation wäre, das der Regen langsam nachlässt und die bedrückende Stimmung mit sich nimmt. Doch der Regen lässt nicht nach, er hört so plötzlich auf, dass Faber nicht einmal den genauen Zeitpunkt bestimmen kann (Zeile 16: Gegen Morgen hatte der Regen aufgehört).  
Und auch hinterher bleibt die gleiche Stimmung erhalten, das Wasser tropft aus den Bäumen und die Sonne geht auf, was für ihn keine Erleichterung ist, sondern nur einen erneuten Tag mit bedrückender Hitze ankündigt. (Von Kühlung keine Spur; der Morgen war heiß...) Während sie weiterfahren, beschreibt er seine Umgebung als dreckig und ungeordnet, die Erde bleibt immer noch nicht am Boden, sondern spritzt in die Luft. Am Ende der Szene sagt Marcel endlich etwas. Er stellt fest, der Tod und die Erde seien Frauen. Faber kann den ersten Teil der Feststellung nicht verstehen. Für ihn ist der Tod etwas so unwirkliches, ein Vorgang, den man nicht erleben kann, und daher würde er nie auf die Idee kommen, ihn mit etwas zu vergleichen. Doch den 2.Satz, die Erde sei eine Frau, kann er nachvollziehen, er hat soeben erlebt, wie unberechenbar sie ist und das ist auch das, was ihm an Frauen nicht geheuer ist: die Unberechenbarkeit und die Übertreibung vieler Situationen, die er als weiblich bezeichnet. Weil er dies erkennt und weil er erleichtert ist, dass die Stille unterbrochen wurde, und damit auch die bedrückende Stimmung, lacht er, wenn auch gezwungen, wie über einen schlechten Witz, um sich selbst frei zu machen von seiner Angst.



Homo faber - ein Bericht

Interpretation der Avignon-Szene und Erörterung der Schuldfrage

Die zu interpretierende Textstelle stammt aus dem Roman „Homo faber - ein Bericht", geschrieben von Max Frisch und veröffentlicht im Jahr 1957, und handelt von Walter Fabers Erinnerungen an die erste gemeinsame Nacht mit seiner Tochter Sabeth, einer Mondfinsternis, in der Faber klar wird, dass Sabeth ihn liebt, sowie dem Versuch einer Rechtfertigung für den begangenen - wenn auch zuerst unbewussten - Inzest.

Auf einer Schiffsreise lernt Faber Sabeth Piper kennen, eine junge Frau, die ihn fasziniert, so dass er mit ihr viel Zeit auf dem Schiff verbringt und ihr irgendwann sogar so „nahe steht", dass er ihr einen - nicht ganz ernst gemeinten - Heiratsantrag macht, den beide aber schließlich als Unsinn abtun. Nach Beendigung der Schiffsreise sucht Faber Sabeth im Louvre in Paris auf und unternimmt mit ihr ein Reise durch Italien, unter anderem zur Via Appia und einem Grabhügel in der Nähe, auf dem Faber erfährt, dass Sabeths Mutter niemand anders als Hanna, eine ehemalige Liebe von ihm, ist. In der folgenden Nacht begehen Faber und Sabeth Inzest - allerdings nicht zum ersten Mal. An dieser Stelle ist der Textauszug einzufügen, Faber blickt zurück auf das Kennenlernen sowie die erste gemeinsame Nacht mit Sabeth, die nach einem gemeinsamen Besuch der Opera schon kurze Zeit nach dem Wiedersehen und vor der Italienreise stattfand, und er erinnert sich an eine Mondfinsternis in dieser Nacht, die für ihn überraschend kam, in der ihm aber auch klar wird, dass Sabeth wohl in ihn verliebt ist. Im Anschluss an die gemeinsame Nacht folgt die Italienreise, da der Textauszug aber ein Rückblick ist und erst später stattfindet, also nicht in eine chronologische Reihenfolge zu bringen ist, folgt ein Reise von Faber und Sabeth nach Korinth, wo die beiden eine Wanderung durch die Nacht machen und schließlich an einem Strand übernachten, auf dem Sabeth am nächsten Tag auf tragische Weise ums Leben kommt, was zu einem Wiedersehen mit Fabers früherer Liebe - Hanna - führt.

Die Textstelle beginnt mit einer rhetorischen Frage Fabers, nämlich der Frage nach seiner Schuld (Z.l). Um diese zu klären erinnert Faber sich zurück an die Schiffsreise und erläutert seine Absichten, in dem er zwei Mal die Formulierung: „Ich habe dem Mädchen nicht(s)..." (Z.3f) benutzt, was eine gewisse Empörung beziehungsweise Rechtfertigung angesichts der Schuldfrage erkennen lässt.

Im Anschluss erklärt Faber auch sofort, er habe zwar in einem Hotel mit Sabeth geschlafen, aber nicht auf der gleichen Etage - es wäre also nicht seine Absicht mit Sabeth zu schlafen (Z.l 1-14). Die Art und Weise, wie er dies formuliert, die Genauigkeit, mit der er die Geschehnisse erklärt, erinnern wieder an eine Rechtfertigung, die Faber entweder sich selbst oder dem Leser schuldet.

Schließlich folgt die Beschreibung der Nacht nach dem Besuch der Oper, in der es eine Mondfinsternis gibt, die Faber aber nicht erwartet hat, genauso wenig wie Sabeth, die mit ihm im Freien sitzt (Z.l4-16). Faber äußert in dieser Situation den Ausruf: „Was ist denn mit dem Mond los?" als direkte Rede, was auf eine Aufgebrachtheit schließen lässt beziehungsweise eine gewisse Unruhe, weil Faber unvorbereitet ist. Wie schon in der Wüstenszene versucht Faber seine Unsicherheit zu überspielen, indem er den Vorgang der Mondfinsternis sachlich erklärt, die Rolle von Sonne, Mond und Erde verdeutlicht und schließlich auch beschreibt und Sabeth erklärt, warum die Welt nicht völlig verdunkelt wird und warum der Mond in diesem Moment so anders aussieht (Z.l7-19, 23-27). Auffällig hierbei ist, dass Faber zwar versucht, Unsicherheit durch Sachlichkeit zu überspielen, in dem er zum Beispiel von einer „verständlichen Erscheinung" spricht (Z.23), dass er aber trotzdem eine gewisse Faszination beziehungsweise Bewunderung nicht verheimlichen kann - und es auch gar nicht versucht, weil er zum Beispiel den Ausdruck „ungeheure Masse" zwei Mal wiederholt. Auch die

Aussage, er finde den Anblick „beklemmend" (Z.29), passt nicht wirklich zum sonstigen Charakter Fabers, der immer versucht, durch Sachlichkeit Angst und andere „unnütze" Gefühle zu unterdrücken.

Am meisten verwirrt aber, dass Faber den Mond im leeren All mit der Erde im Finstern vergleicht, was im übertragenen Sinne auf die Auffassung der Menschen, alles erklären zu müssen, hinweist und darauf, dass wir eigentlich „im Dunkeln tappen", nicht alles wissen und erkennen, was geschieht (Z.27,31). Die Tatsache, dass Faber dies erkennt, scheint ein Hinweis auf seine Verwirrung beziehungsweise Unsicherheit zu sein („brachte mich aus der Ruhe", Z.19), die noch wächst angesichts der Erkenntnis, dass Sabeth in Faber verliebt ist (Z.35). Faber weiß nicht, wie er mit der Situation umgehen soll, weder mit der Mondfinsternis, die ihn verunsichert, noch mit Sabeth und ihren Gefühlen zu ihm und ihren Gedanken, er würde sie zum ersten Mal ernst nehmen (Z.28f). Ein Beleg für diese Aussage ist, dass Faber, der eigentlich eher schweigsam ist, in dieser Stunde viel redet, sich aber später an kaum etwas davon erinnern kann, außer an Sabeths Aussage, er würde sie - als „Paar" - endlich so sehen, wie sie es sich wünschte (Z.28f). Die „Erleuchtung" beziehungsweise Einsicht Fabers steht hierbei im „farblichen" Kontrast zur finsteren Welt, könnte also ein Hinweis darauf sein, dass Faber sich ein wenig von seiner Sachlichkeit entfernt und seine Gefühle „in den Vordergrund stellt". Ich denke außerdem, dass eine gewisse Wandlung Fabers sichtbar ist sowie ein Vergleich zum Mond, der eigentlich - wie Faber - erklärbar und berechenbar ist, sich in diesem Moment aber völlig anders verhält als sonst - eine Wandlung auf Zeit, die auch bei Faber sichtbar ist durch das viele Reden, seine Unruhe, seine Einsicht... Außerdem ändert sich Fabers Blick auf die Welt - wenn auch nur für kurze Zeit - als die „leuchtende Scheibe", die der Mond sonst ist (Z.26) sich als „Kugel, Ball, Körper, als Gestirn" zeigt - für einen kurzen Moment sieht Faber das Leben nicht als etwas, was man beschreiben, erklären, abbilden kann, sondern als einen Körper, eine Gestalt, die schwer zu beschreiben und wandelbar ist, nicht etwas, was man verallgemeinern kann. Schließlich könnte man noch vermuten, dass die Mondfinsternis, die etwas Unvorhergesehenes ist, eine Wendung in die Geschichte einbringt, genauso wie die Situation bei Faber Unsicherheit hervorruft und somit eine charakterliche beziehungsweise beziehungstechnische Wendung für die Hauptperson des Romans bedeutet - Faber stellt sich plötzlich die Schuldfrage und muss das Begangene rechtfertigen, sich verteidigen für das, was er getan hat - vor allem vor sich selbst, wie die rhetorische Frage zu Beginn vermuten lässt.

„Meine Frage, ob Juana an eine Todsünde glaubt, beziehungsweise an Götter; ihr weißes Lachen; meine Frage, ob Juana glaubt, dass die Schlangen (ganz allgemein) von Göttern gesteuert werden, beziehungsweise von Dämonen." (S.180)

Dieses Zitat, diese Fragen, die Faber einem fremden Mädchen auf Cuba stellt, zeigen deutlich, dass Faber sich Gedanken macht über das Vorhandensein und das Ausmaß seiner Schuld. Auffällig ist hierbei, dass Faber nach Schlangen fragt, die Schuld sind am Tod seiner Tochter und die seiner Meinung nach von Göttern oder Dämonen gelenkt werden könnten, wobei er diese beiden Möglichkeiten auf eine „Stufe" stellt, er unterscheidet also nicht zwischen dem Guten und dem Bösen, zwischen Göttern und Dämonen, sondern betrachtet das Geschehene als Strafe - unabhängig davon, ob er es verdient oder nicht.

Es gibt viele Gründe zu sagen, dass Faber Schuld trägt, zum Beispiel durch die Tatsache, dass er sich mit einer jungen Frau, die fast noch ein Kind ist, einlässt (S.123) oder dass er mit Sabeth schläft, obwohl er weiß, dass sie Hannas Tochter ist (S.l 17). Auch die Tatsache, dass er ahnt, sie könne auch sein Kind sein (S.122), kann man Faber als Schuld anrechnen, ebenso

wie seine Verschwiegenheit ihr gegenüber, was ihre mögliche Verwandtschaft angeht (S.l 19). Am meisten macht Faber sich aber wohl Gedanken über Sabeths Tod und sein „Mitwirken" daran, die Tatsache, dass er sie erschreckt hat und dass die Verletzung am Kopf der eigentliche Grund für ihren Tod ist (S.l60) - und nicht die Schlange. Angesichts dieser Gründe finde ich es nicht verwunderlich, dass Faber sich schuldig fühlt und seinen „Egoismus", seine Faszination für das Mädchen als Auslöser für das Drama sieht - und dadurch auch zu der Erkenntnis kommt, sein Leben „falsch" gelebt zu haben, es ändern zu müssen (S.175f). Auch der Leser erhält zuerst den Eindruck, dass die vermeintliche Auferweckung der Erinnye (S.l 11) und ihre Strafe für den Inzest berechtigt sind (der Schlangenbiss!), dass Faber Schuld auf sich geladen hat und nun mit den Konsequenzen leben muss.

Ich aber finde, dass Faber völlig unschuldig ist beziehungsweise genauso schuldig wie jeder andere Mensch auch, der versucht, so „menschlich" wie möglich zu sein.. .denn zum Menschlichsein gehören Fehler dazu, genauso wie der Wunsch nach dem ewigen Leben (oder der ewigen Jugend) und die Angst vorm Alleinsein.

Meiner Meinung nach fühlt Faber sich zu Sabeth hingezogen, weil sie jung ist - also das, was er gerne sein will. Er vergleicht sie einmal mit einem Jungen auf Cuba (S.l75) und sagt, dass er diesen Jungen liebt - weil er jungt ist. Faber sehnt sich nach seiner Jugend und sieht das, was er begehrt, in Sabeth, zum Beispiel auf S.87: „Plötzlich kam ich mir senil vor...". Er fühlt sich alt, wenn er sich mit ihr vergleicht, bewundert sie aber für ihre Jugend, ihre Begeisterung - und findet sie darum attraktiv. Dazu kommt noch, dass Sabeth ihn an Hanna erinnert („Ihr Hanna-Gesicht!") und er Hanna damals wirklich geliebt hat („Nur mit Hanna ist es damals nie absurd gewesen!" beziehungsweise es immer noch tut (S.l80). Sabeth ist für ihn eine Art Abbild von Hanna, er liebt sie für ihre Jugendlichkeit und ihre Ähnlichkeit zu der Frau, die er nicht haben kann. Natürlich kann man jetzt sagen, er habe Sabeth nur benutzt, aber ich glaube, dass sein Verhalten nur menschlich ist, es bietet sich ihm die Chance, sein Leben so zu ändern und so zu leben, wie er es im Unterbewusstsein schon immer tun wollte, und ich denke auch, dass Faber nicht die Reise mit Sabeth gemacht hätte, wenn er gewusst hätte, in welcher Weise sie miteinander verwandt sind, er hat nur auf sein Unterbewusstsein gehört - vielleicht zum ersten Mal? - und meiner Meinung nach wollte er Sabeth nie benutzen, er hat sie auf seine Weise geliebt und nach ihrem Tod um sie getrauert, war sich aber während ihrer gemeinsamen Zeit nicht klar über seine Gefühle („verwirrender Eindruck", S.l25 Z.34). Was Sabeths Unfalltod angeht, so denke ich, dass Faber ihr wirklich nur helfen wollte und somit nicht Schuld ist; es war nicht vorauszusehen, wie sich der Sturz auf Sabeths Leben auswirken würde. Ich kann verstehen, dass Faber sich schuldig fühlt - das würde wahrscheinlich jeder Mensch in seiner Situation tun - aber seine Schuldgefühle sind nicht berechtigt, weil Faber nur das getan hat, was ein Rationalist wie er eigentlich nie tun würde -seinem Herzen folgen. Hätte Faber auf seinen Verstand gehört, wäre es zu der Tragödie wahrscheinlich nie gekommen, aber er wäre wohl auch nicht zu der Erkenntnis gekommen, sein Leben falsch gelebt zu haben, und wäre schließlich einsam und „verbittert" gestorben, ohne das Wissen, dass er sein Leben anders hätte leben können. Faber hat also nur getan, was ihn glücklich macht - allerdings ohne die Intention, andere dafür zu verletzen; dass die Beziehung sich so entwickelt hat, wie sie letztlich ausgegangen ist, konnte Faber nicht voraussehen und daher nicht beeinflussen! - und das kann man ihm nicht als Fehler vorwerfen, weil es letztlich nur das ist, was jeder Mensch tut.